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Bozzettos von Johann Georg Pinsel:
Umstände und Umfeld der Erstellung

Um unseren engen Freund Yevhen Hulevych zu ehren.
Боцетто Йогана Георгія Пінзеля

Um großformatige Skulpturen zu schnitzen, fertigte Johann Georg Pinsel kleine und elegante Holzbozzettos an, die seine Denkweise veranschaulichen.

Skulpturale Skizzen hatten einen komplizierten Lebensweg. Sie zeigen Neuverklebungen, Absplitterungen, Verlust einzelner Elemente, Neubemalungen. Wie und wo sie die Katastrophen des 20. Jahrhunderts überlebten, ist nicht bekannt. Die Bozzettos sind wahrscheinlich schon seit längerer Zeit unprofessionell behandelt worden: Sie waren schlampig mit wasserbasierter Emulsionsfarbe gestrichen. Ende der 1980er Jahre wurde die Figur des Hl. Josef um das rechte Bein und einen für das Rokoko nicht charakteristischen Sockel aus Nadelholz ergänzt. In der Hand von König David fehlt das Zepter – ein Zeichen der Macht, es war wahrscheinlich aus Bleidraht. Die durch einen Sturz abgebrochenen Hände von Anna wurden neu geklebt. Als Ergebnis der vergleichenden Analyse konnte festgestellt werden, dass diese Modelle für die Projekte der Tempelaltäre in Horodenka, Monastyrys´ka, Budaniw erstellt wurden. Die Zeitspanne ihrer Herstellung ist also 1752-1761. Dank des kritischen Verständnisses von Johann Pinsels Bozzettos kann man die Grundsätze seines künstlerischen Credos nachvollziehen.

Unsere Kenntnis über das Werk von Johann Georg Pinsel basiert auf den Informationen und Interpretationen verschiedener Kunsthistoriker. In ihren Arbeiten lesen wir begründete Aussagen über die Einzigartigkeit der individuellen Schnitzerhandschrift und die Zugehörigkeit der Werke zu Pinsels Werkstatt. Die Erforschung vom Werk wird maßgeblich durch die acht außergewöhnlichen Bozzettos des Bildhauers aus der Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums in München bereichert. Sie repräsentieren den Stil, die Denkweise und die künstlerische Autorvision von Johann Pinsel.

Die Miniaturskulpturenskizzen weisen auf mehrere Merkmale des Autorenstils von Pinsel hin: filigrane Ausführung von Schnitzereien, Verwendung von speziell angefertigten Meißeln, Ausführung von Werken in einem zuvor durchdachten Maßstab, Erstellung von primären grafischen Skizzen und Entwürfen. Ausdruckskraft der Bilder, ausgewogene Dynamik, geschärfte Kleidungsfalten, Elastizität der Körperanatomie und sorgfältige Modellierung der Gesichtszüge zeigen die künstlerische Vision des Bildhauers deutlicher. Auch die winzigen Skulpturen repräsentieren die Denkweise des Meisters, denn sie waren Bestandteile der architektonischen Komposition der Holzmodelle von Altären. Dies bestätigt die Vermutung, dass Johann Pinsel nicht in disjunkten Formen, sondern in räumlichen Kategorien gedacht hat.

Die Forschungen von Bozzettos ermöglichen es, die Etappen und Methoden der Auftragsarbeit des Meisters zumindest teilweise zu rekonstruieren. Wahrscheinlich hat Pinsel Holzmodelle für jedes Objekt erstellt, indem er die Gesamtkomposition und Anordnung des gesamten Raums durchdacht hat. Aufgrund individueller Informationen aus verschiedenen Quellen kann man vermuten, dass der Meister der Schaffung des Rathauses von Butschatsch besondere Aufmerksamkeit widmete, dessen Bau von Mykola Vasyl Pototskyi mit großer Sorgfalt fundiert wurde. So erwähnt Sadok Baronc in seinem Buch “Die Denkmäler von Butschatsch”, dass Pototskyi den Bau einer Plattform von seinem Palast für den Transport von Figuren und Skulpturen zur Spitze des Gebäudes erlaubte, damit sie ohne Beschädigung an ihrem Bestimmungsort platziert werden konnten. Diese kurze Erwähnung lässt vermuten, dass sich Pinsels Werkstatt im Palast des Kaniw-Bürgermeisters Mykola Vasyl Pototskyi befand.

Von den acht erhaltenen Bozzettos wurde einer nicht vom Meister, sondern von seinem Schüler, wahrscheinlich Anton Still, geschnitzt. Wir wissen nicht, ob Pinsels Schüler die Technik der Herstellung von Holzmodellen mit Miniaturskulpturen übernommen haben. Heute haben wir keine Muster ihrer Bozzettos. Stattdessen ist es bekannt, dass diese Schüler nach dem Tod von Johann Pinsel in privater Praxis bildhauerische Skizzen verwendeten. Das sehen wir zum Beispiel im Mychailo Filewytschs Werk „Heilige Anna beim Lesen der Heiligen Schrift“ vom Hauptaltar der Kirche der Schutzmantelmadonna in Butschatsch.

Es ist zu beachten, dass in den sechs Bozzettos an der Basis des Sockels die Löcher für die Befestigung der Figuren in der architektonischen Gesamtkomposition der Altarpläne erhalten geblieben sind. Der Bozzetto von König David lehnte mit dem Rücken an einer runden Säule. Leider sind die Standorte der Modelle unbekannt. Trotz dieses Erhaltungszustandes sehen wir, dass Johann Georg Pinsel auf die Darstellung der Vollständigkeit des Werkes und seiner künstlerischen Eigenschaften angewiesen war. Zwar diese Kriterien waren es, die potenzielle Investoren vom Erfolg der Finanzierung überzeugten. Die erhaltenen Bozzettos beweisen nochmals, dass der Bildhauer in Italien studierte und mit deutschen Schnitzschulen vertraut war. Museen in Italien und Deutschland präsentieren heute viele Beispiele von Holzmodellen von Kirchen und Altären aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, deren Erstellung einst eine wichtige Phase des Auftragserfüllungsprozesses war.

Unter den acht Miniaturen gibt es skulpturale Skizzen von Hl. Joseph, Hl. Joachim, König David, Propheten Abraham, Hl. Anna, Hl. Hieronymus und zwei geflügelten Engeln. Sie zeugen von Pinsels Gründlichkeit und Folgerichtigkeit, der bereits im Entwurfsstadium die präzisen Proportionen und die Vollständigkeit der Figurenkomposition vorgesehen hat. Er schnitzte kleine Figuren und große Skulpturen gleichermaßen gewissenhaft. Daher hatte er keine Probleme mit Bildern unterschiedlicher Größe, sondern konzentrierte sich auf eine möglichst vollständige Darstellung des Bildes. Beim Vergleich der Größen von Figuren und Großskulpturen fällt auf, dass die Bozzettos im Maßstab 1:12 gefertigt sind. Im 18. Jahrhundert wurde auf dem Territorium von Polen-Litauen aber nicht das metrische System verwendet, sondern die polnische Elle (ca. 59 cm), daher wurden sie damals im Maßstab 1:20 erstellt. Wie auch große Skulpturen bestehen Bozzettos aus Lindenholzteilen, die mit Leim zusammengeklebt werden. Diese Methode der Miniaturherstellung erforderte speziell angefertigte Klammern zum Verkleben der kleinen Holzelemente des Bozzettos und der geordneten Zusammenstellung der Altarmodelle. Pinsels Algorithmen, Technologie und Geräte zur Übertragung von Maquetten und Bozzettos in Originalgröße bleiben immer noch ein Rätsel.

Die majestätische Bozzetto-Skulptur aus der Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums in München zeugt von Johann Pinsels anhaltender Leidenschaft für dynamische Formen und emotionalen Expressionismus. Ein Zeichen von Kontinuität und kultureller Tradition ist darin zu sehen, dass die Werke von Johann Pinsel zusammen mit den Bozzettos seines Lehrers Matthias Braun ausgestellt werden. In der Nebenhalle befindet sich ein Holzmodell des Großaltars der Mariahilfer Kirche in Wien des Architekten Sebastian Haupt. Haupts 1757-1758 entstandener Grundriss trägt zur fantasievollen Wiedergabe der kleinen Werke von Johann Pinsel bei. Die Art des Schnitzens, die Faszination für Details und die Fähigkeit, Kunstformen zu synthetisieren, wurden in den Modellen der Tempelfüllung verkörpert. So zeigen die Bozzettos, ausgestellt in eleganten und beleuchteten Museumsmöbeln des frühen 21. Jahrhunderts, dass Johann Georg Pinsel als Architekt räumlich dachte und als Bildhauer gründlich analysierte.

Oleh Rybchynskyi

* Die Forschung wurde von der öffentlichen Initiative My Future Heritage in Partnerschaft mit der Borys Voznytsky Lviv nationale Kunstgalerie und dem Bayerischen Nationalmuseum mit Unterstützung von House of Europe durchgeführt..

* Für weitere Informationen über die Bozzetti besuchen Sie bitte die Galerie-Sektion